Transparenz – die vernachlässigte Säule

05.04.2021

Die Säule der Transparenz ist wohl die am meisten übersehene Säule, weil viele nicht ihre Bedeutung für eigenverantwortliche Arbeit sehen. Sie ist allerdings neben Alignment der Hauptgrund, warum viele selbstständig arbeitende Teams daran scheitern, dass ihre Führungskraft mit ihren Arbeitsergebnissen nicht zufrieden ist. 

Arbeit ohne Transparenz ist wie blind Tennis lernen

Stell dir vor, dein Tennis-Trainer kommt zu dir und stellt dir eine neue Trainingsmethode vor. Er verbindet dir die Augen und spielt dir Bälle zu. Fünf Minuten lang trainiert ihr so Schlag für Schlag. Dir gelingt es sogar überraschend gut, die Bälle in der Luft zu erwischen. Nach Ablauf der Zeit nimmt dir dein Trainer die Augenbinde ab und gibt dir Feedback: 20% deiner Schläge waren zu weit links, 35% zu weit rechts, der Rest saß ganz gut, du könntest aber generell etwas näher ans Netz spielen.

Denkst du, dass es dir so gelingen wird, ein guter Tennisspieler zu werden?

Natürlich nicht, denn einen Lerneffekt kann ich nur haben, wenn ich unmittelbares Feedback darauf erhalte, wie meine Handlungen sich ausgewirkt haben, um sie Schritt für Schritt zu justieren.

In den meisten Unternehmen wird auf vielen Arbeitsebenen jedoch genau so gearbeitet. Nicht unbedingt auf der Ebene der individuellen Arbeit - hier kontrolliert die Führungskraft jede PowerPoint Präsentation und gibt detailliertes (oft zu detailliertes) Feedback. Aber welchen Einfluss die eigene Arbeit auf das Team- oder Betriebsergebnis hat, erfährt man als Angestellte:r nur in sehr seltenen Teamrunden, oft nur auf Quartalsbasis.

Die Sipgate GmbH in Düsseldorf, ein innovativer Festnetz- und Mobilfunkanbieter, geht hier andere Wege. Das Unternehmen bemüht sich, seinen Angestellten alle nötigen Informationen zur Verfügung zu stellen, um schnell zu lernen und beständig besser zu werden - und zwar so sichtbar und "physisch" wie möglich. So finden sich im Flur vor dem Callcenter Post-Its, auf denen die wöchentliche Zahl der gelösten Calls notiert ist. Im Flur stehen Monitore, auf denen stetig aktualisierte Kennzahlen des Business durchlaufen, zum Beispiel in welche Abteilungen welcher Anteil jedes verdienten Euros fließt.

Solche unmittelbaren Kennzahlen ermöglichen es Angestellten, Experimente zu fahren und zu sehen, ob neue Arbeitsvereinbarungen, neue Strukturen oder neue Tools einen Einfluss auf die KPIs haben. Und je kleiner die Intervalle sind, zu denen diese Kennzahlen verfügbar sind, desto mehr Experimente können die Teams im Jahr machen. Das bedeutet: schneller optimieren, schneller an verändernde Bedingungen anpassen und letztlich eine größere Effizienz im Unternehmen.

Du erreichst so ein selbstjustierendes System

Stell dir zwei Formen von Heizungen vor: Bei der ersten Heizung musst du manuell einstellen, wie heiß sie sein soll. Um die optimale Zimmertemperatur zu finden, musst du manuell nachregulieren. Das gibt dir vielleicht ein hohes Gefühl von Kontrolle, aber letztlich führt es dazu, dass du ständig in das System eingreifen und es korrigieren musst, zum Beispiel wenn sich die Außentemperatur verändert.

Die zweite Heizung dagegen erfordert von dir nur die Einstellung einer Wunschtemperatur, den Rest erledigt die Heizung selbst, indem sie die Temperatur im Raum misst und berechnet, wie stark sie heizen muss, um zur stabilen Wunschtemperatur zu kommen. Die eingebaute Feedbackschleife erlaubt der Heizung, weitgehend unabhängig vom Anwender zu arbeiten.

Die Königsfrage: Welcher dieser beiden Heizungen entspricht dein Team?

Ein gut aufgestelltes Team arbeitet wie die Heizung mit eingebauter Feedbackschleife. Und deine Aufgabe als Führungskraft dieses Teams ist es nicht, die Quelle dieses Feedbacks zu sein, d.h. du solltest nicht beständig daran herum justieren (und zum Beispiel jede Entscheidung im Team selbst treffen). Stattdessen nutzt du Alignment und vereinbarst mit deinem Team klare Ziele, die es zu erreichen oder zu halten gilt - ähnlich der gewünschten Zimmertemperatur. Und nun baust du Feedbackschleifen auf, die automatisch gemessene Kennzahlen an dein Team zurückspielen, damit dieses sich selbst justieren kann. Je kleinteiliger die Intervalle sind, desto schneller kann diese Justage erfolgen. 

Das war sehr abstrakt - aber welche Informationen könnte ich in der Praxis liefern?

Im Detail hängt das natürlich stark von dem Ziel deines Teams ab, aber hier sind einige Beispiele, welche Kennzahlen für dein Team interessant sein könnten:

  • monatlicher/wöchentlicher Umsatz im Vergleich zum Vorjahr
  • Mitarbeiterzufriedenheit, zum Beispiel mit honestly.com gemessen (eher für Führungsebenen wichtig)
  • Anzahl neu gewonnener Kund:innen im Vergleich zum Vorjahr
  • monatliche Cost-to-Income-Ratio (wenn die Finanzabteilung hier kleinteilig genug rechnet)
  • monatliche/wöchentliche Anzahl der Arbeitsunfälle

Dein Ziel sollte immer sein, deinen Mitarbeitenden die Zahlen verfügbar zu machen, die ihr gerade positiv verändern wollt (und einige Zahlen, die ihr langfristig unbedingt halten müsst) und nicht mehr - denn zuviele Informationen schaden der Transparenz, da niemand mehr weiß, was jetzt eigentlich wichtig ist.

Das Intervall des Feedbacks musst du so wählen, dass es für die Mitarbeitenden möglich ist, Experimente mit veränderten Arbeitsvereinbarungen, Tools oder ähnlichem durchzuführen und zeitnah zu sehen, ob diese Experimente erfolgreich waren. Wenn ein solches Experiment einen Monat braucht, macht ein wöchentlicher Feedback-Rhythmus wenig Sinn. Wenn es aber nur wenige Tage benötigt, sollte es schon ein Wochenrhythmus sein.