Wenn sich die Mitarbeitenden im Käfig fühlen
Das heutige Führungsbild: Wenn Mitarbeitende oft genug in ihrer Initiative eingeschränkt werden, entsteht ein Käfig um sie herum - wenn auch nur in ihrem Kopf.
1967 prägten die amerikanischen Psychologen Martin Seligman und Steven Maier den Begriff der "erlernten Hilflosigkeit". Sie hatten in Experimenten mit Hunden festgestellt, dass die Tiere unter bestimmten experimentellen Bedingungen in einen Zustand gebracht werden können, in dem sie lethargisch ein Schicksal ertragen, das sie leicht ändern könnten. Dazu setzten die Psychologen eine Gruppe von Hunden in Phase 1 leichten Elektroschocks aus, denen sie zunächst nicht entrinnen konnten. Die Tiere lernten, die Situation zu ertragen. Steckte man die Hunde später in Phase 2 in ein Setup, in dem sie einfach hätten weggehen und so die Schocks vermeiden können, stellten die Psychologen fest, dass die meisten Hunde stattdessen lethargisch liegen blieben und ihr Schicksal ertrugen. Nur sehr langsam lernten sie, die Schocks durch Ausweichen zu umgehen. Eine Vergleichsgruppe, die schon in Phase 1 Möglichkeiten bekommen hatten, die Schocks abzustellen, lernte in Phase 2 sehr schnell, wie sie die Schocks vermeiden konnten.
Die lethargischen Hunde hatten also gelernt, dass ihre Situation nicht zu ändern ist. Sie hatten sich in Folge dessen einen immateriellen, aus ihren Gedanken geformten Käfig übergestülpt, der sie daran hinderte, ihr eigenes Schicksal positiv zu beeinflussen.
Warum das für Sie als Führungskraft relevant ist? Weil nicht nur Hunde dieses Verhalten zeigen!
"Erlernte Hilflosigkeit ist die aufgrund negativer Erfahrung entwickelte Überzeugung, die Fähigkeit zur Veränderung der eigenen Lebenssituation verloren zu haben [...]"
Erlernte Hilflosigkeit ist ein Zustand, der sich auch in vielen Unternehmen zeigt. Sicherlich kennen auch Sie Personen in Ihrem Betrieb, die immer davon sprechen, dass "die Dinge halt so sind" und "man ja sowieso nichts daran ändern kann", Diese Personen sind ebenfalls in einem Zustand der erlernten Hilflosigkeit gefangen. Nur waren es hier nicht Elektroschocks, die diesen Zustand verursacht haben, sondern Zurückweisungen von Vorgesetzten.
Mit jeder Initiative, die Sie als Führungskraft bestrafen, mit jedem Änderungsvorschlag, den Sie ablehnen, bauen Sie neue Gitterstäbe in den mentalen Käfig Ihrer Mitarbeitenden.
Besonders schnell baut sich dieser Käfig dann auf, wenn die Mitarbeitenden die Begründung für Ihr (einschränkendes) Einschreiten nicht nachvollziehen können. Denn je unerwartbarer Ihre Interventionen für die Mitarbeitenden werden, desto unsicherer sind sie, ob ihre nächste Initiative nicht genauso schlecht für sie ausgeht - und desto schneller verlieren sie das Gefühl von Kontrolle.
"Erlernte (auch gelernte) Hilflosigkeit beschreibt die Erwartung eines Individuums, bestimmte Situationen oder Sachverhalte nicht kontrollieren und beeinflussen zu können. Es wird davon ausgegangen, dass Individuen ihr Verhaltensrepertoire einengen und als unangenehm erlebte Zustände nicht mehr abstellen, obwohl sie es (von außen betrachtet) könnten. Diese Selbstbeschränkung bzw. Passivität ist auf frühere Erfahrungen der Hilf- und Machtlosigkeit zurückzuführen. Das Individuum erfährt einen Kontrollverlust, indem eine ausgeführte Handlung und die daraus resultierende Konsequenz als unabhängig voneinander wahrgenommen werden. Diese Erwartung beeinflusst das weitere Erleben und Verhalten des Individuums und kann sich in motivationalen, kognitiven und emotionalen Defiziten manifestieren."
Es gibt sicherlich einige Führungskräfte, denen der Zustand der erlernten Hilflosigkeit ganz gelegen kommt - denn schließlich hören die hilflosen Angestellten ja auf, ständig mit eigenen Ideen zu stören! Kopf runter, Schultern einziehen und abarbeiten was der Chef vorgibt ist dann die Devise. Ein Gefühl von Kontrolle stellt sich ein.
Aber ein erlernt hilfloses Team ist sehr schädlich für den Betrieb. Es entwickelt sich nicht weiter, arbeitet nicht motiviert und kreativ und wird aus seinen Reihen auch keine nachrückenden Führungskräfte voller Initiative hervorbringen. Stattdessen wird vermutlich über kurz oder lang der Krankenstand steigen, denn erlernt hilflose Menschen sind stärker depressionsgefährdet. Und gute Leute wollen heute nicht mehr unter solchen Bedingungen arbeiten - sie gehen lieber.
Vielleicht die schlimmste Folge erlernter Hilflosigkeit ist aber: erlernt hilflose Teams weisen nicht mehr auf Fehler oder Probleme hin. Ein unvorstellbares historisches Beispiel dafür ist das Schicksal der Vasa, des schwedischen Flagschiffs, das noch bei der Jungfernfahrt in Sichtweise des Hafens versank, weil niemand dem König gestehen wollte, dass die von ihm genehmigten Baupläne sich als instabil herausgestellt hatten.
Was können Sie als Führungskraft tun, um den Zustand der erlernten Hilflosigkeit in Ihrem Team zu verhindern?
- Belohnen Sie Eigeninitiative seitens Ihrer Mitarbeitenden. Immer! Egal, ob diese in eine Richtung geht, die Sie gutheißen. Sie können entsprechende Vorstöße stoppen, aber belohnen Sie die Initiative.
- Machen Sie Ihr Einschreiten verständlich und nachvollziehbar. Ihre Mitarbeitenden brauchen ein Gefühl der Kontrolle. Dieses Gefühl haben Sie nicht, wenn sie ständig in unsichtbare Elektrozäune rennen.
- Stellen Sie klare Regeln auf. Wenn doch mal durch Eigeninitiative etwas schief geht, was nicht hätte schief gehen sollen, finden Sie zusammen mit ihren Mitarbeitenden Wege, eine Wiederholung zu verhindern. Stellen Sie gemeinsam Leitlinien, Rollenbilder und Regeln auf. So erreichen Sie Nachvollziehbarkeit und Klarheit.
- Sprechen Sie mit Ihren Mitarbeitenden. Insbesondere, wenn der Zustand der erlernten Hilflosigkeit schon eingetreten ist (zum Beispiel durch die Arbeit Ihres Vorgängers), muss das Thema im Team angesprochen werden. Sie müssen den Menschen Vertrauen darin geben, dass es in Zukunft anders laufen wird. Verlernen Sie gemeinsam das Erlernte.
- Machen Sie erfolgreiche Initiativen sichtbar. Das Perfide an erlernter Hilflosigkeit ist, dass der Zustand der Hilflosigkeit eher eingebildet als real ist. Zeigen Sie den Mitarbeitenden, dass sie nicht wirklich hilflos sind, indem Sie positive Beispiele hervorheben.